Der Regen klatscht schon seit Stunden an die Scheiben meines Autos. Am späten Nachmittag bin ich gestartet, ich sollte noch einen Kunden treffen. Manchmal hasse ich meinen Job!, es stürmt. Und jetzt fahre ich auch noch in ein Gewitter. Na toll, das hat mir auch noch gefehlt.
Es regnet nicht, es gießt, als würde jemand alle Wolken auf einmal auswringen wollen. Der Scheibenwischer schafft es manchmal nur auf höchster Stufe, mit dem vielen Wasser fertig zu werden.
Die Gegend ist jetzt recht einsam, länger schon ist mir kein Auto begegnet.
Scheiss Wetter, manchmal ist die Strasse kaum zu sehen, so doll giesst es.
Weit und breit keine Menschenseele, einsame Gegend.
Und dann passiert, was sich keiner wünscht, der Motor streikt, ich kann gerade noch hinter einer Kurve einen halbwegs sicheren Platz am Straßenrand errollen. Shit! Und nun?
Das was sich jede Frau wünscht! Bei diesem Mistwetter und – wie sollte es anders sein! – in einer einsamen und verlassenen Gegend bei völliger Dunkelheit und nur einer ungefähren Vorstellung, wo man ist!
Am Benzin scheint es nicht zu liegen, die Tankuhr zeigt noch genügend an. OK – welchen Rettungsdienst kann ich anrufen? ADAC oder so etwas?
Shit hoch 2 – natürlich ist in dieser Gegend oder bei diesem Wetter hier
kein Empfang.
Also warten, ob ein anderes Auto vorbeikommt.
Geduld ist nicht grade meine Stärke
Es wird auch immer kälter, ich kann ja nicht die Motor die ganze Zeit laufen lassen, um zu heizen.
Was tun? Warten bis zum Morgengrauen? Keine verlockende Vorstellung, ehrlich!
Es regnet stark und trotzdem steige ich aus, ich habe Hunger und auf die Toilette muss ich auch!
Durch die Scheiben kann man nichts sehen.
Zumindest habe ich immer einen Regenschirm dabei, jeder Norddeutsche hat mindestens einen Regenschirm.
Der Regen macht einen höllischen Lärm auf meinem Regenschirm, ich kann außer diesem prasselnden Geräusch nichts anderes wahrnehmen.
Ich schaue mich um
Weit und breit nichts zu sehen. Kein Haus – kein Schild…war ja klar!
Oder doch? Was ist das da hinten, etwas den Berg hoch? Ist dies vielleicht ein Licht? Ein Haus? Nicht wirklich zu erkennen.
Wenn es ein Haus ist, vielleicht haben die ein richtiges Telefon und ich kann Hilfe bestellen.
Oder vielleicht nur im Trockenen warten?
Ich überlege gar nicht mehr lange, klemme mir meine Handtasche unter den Arm, verschließe das Auto und mache mich auf den Weg.
Keine Straßenlaterne, nichts, was mir irgendwie erleichtern würde, überhaupt einen Weg zu finden. Ich kann nur mit dem schwachen Licht von meinem Handy leuchten und so zumindest verhindern, zu fallen.
Kaum bin ich über die Strasse, stoße ich gegen einen Zaun.
Ich gehe an dem Zaun entlang und komme an eine Pforte, die sich sogar etwas öffnen lässt. Natürlich quietscht die Tür schrecklich, das höre ich sogar durch den Regen! Als hätte sie sehr lange niemand bewegt. Ich will da eigentlich nicht rein, und irgendwie gruselt es mich ein wenig. Ich merke, wie mein Herzschlag sich beschleunigt. Doch das Licht liegt genau in dieser Richtung und bei diesem Wetter habe ich keine Lust, mir einen Weg um den Zaun herum zu suchen, wer weiß, wie groß dieses Anwesen ist.
Alles ist so dunkel, so finster, ich kann meine Hand nicht vor Augen sehen und schon stolpere ich. Über etwas grösseres hartes. Ich kann nicht sofort ausmachen, was es ist. Doch dann dämmert es mir …..einen Grabstein.
Jetzt wird mir ganz bekommen und ich kann auch nicht verhindern, dass Angst in mir aufsteigt.
Aber die Neugierde siegt, trotz der Angst in mir.
Ich leuchte den Stein genau an, um zu lesen, was da drauf steht.
Ein Name und eine Zahl. Elvira und 4 Jahre.
Das ist so traurig. Und ich drehe mich um, will weiter gehen.
Da entdecke ich weitere Steine.
Gruselig. Immer ein Name und eine Zahl. Mal 2 Jahre, mal 3 1/2, mal 4.
Himmel, ich bin auf einem Kinderfriedhof gelandet!
Das versaut mir den Tag nun endgültig. Ich will hier nur noch weg!
Ich komme an die andere Seite, wieder ein Zaun, aber zum Glück auch hier eine Pforte. Nix wie durch und weiter in Richtung Licht. Das Licht bewegt sich nicht. Also fix. Die Chancen steigen, dass ich hier Hilfe finde. Und je näher ich komme, umso sicherer bin ich, dass es ein Haus ist.
Ich versuche, das gruselige Friedhofsgefühl abzustreifen.
Nach einer gefühlt kleinen Ewigkeit erreiche ich endlich das Haus Ich läute und zum Glück höre ich Schritte.
Die Tür geht auf und ich bin so dankbar.
Ich entschuldige mich für die späte Störung und erkläre, dass ich mit meinem Auto liegen geblieben bin. Dass ich lange gewartet habe, aber kein anderes Auto vorbei kam und mein Telefon hatte keinen Empfang. Es war so unangenehm, dass ich mich trotz Starkregens aufmachte, um Hilfe zu finden.
Als ich das Licht vom Haus sah, hielt mich nichts, nicht einmal der Kinderfriedhof ab, hierher zu kommen, um Sie um Hilfe zu bitten:
Darf ich, kann ich bei Ihnen telefonieren?
Ja telefonieren sollte gehen. Doch was meinen Sie mit Kinderfriedhof?
Naja, hier in dieser direkten Linie ist doch ein Kinderfriedhof, und ich zeigte in die Richtung, aus der ich kam.
Aha, ja da ist ein Friedhof, aber doch kein Kinderfriedhof.
Doch, doch, sagte ich, auf jedem Grabstein standen nur wenige Lebensjahre.
Ah, jetzt verstehe ich, was Sie meinen, sagte der Hausbesitzer. Nein, das ist kein Kinderfriedhof. Wir haben hier nur die Sitte, nicht das Geburts- und Sterbedaten auf den Grabstein zu schreiben, sondern die Anzahl der glücklich gelebten Jahre.
Ich starrte mein Gegenüber sprachlos an.
Aber…..mein Gehirn versuchte, zu begreifen, was ich gehört und gesehen hatte, wollte es zusammen fügen.
Aber….warum waren es denn dann immer so wenig Jahre?
Der Hausbesitzer sah mich mit einem unerklärlichen Blick für einen langen Moment an, drehte sich um und schlurfte ins Haus und murmelte im Weggehen, ob ich denn nicht telefonieren wollte.
Ich vergaß fast, dem Hausbesitzer ins Haus zu folgen.
Wenn dein Leben heute beendet sein würde, welche Zahl würde auf deinem Grabstein stehen?